Die LKWs rauschen vorbei, während du mit deinem Pferd an der Landstraße stehst und wartest. Fast schon gelangweilt steht es in entspannter Haltung neben dir, der Zügel hängt durch. Endlich überquert ihr die Straße und setzt euren Weg fort. Knatternde Motorräder, brummende Trecker und klingelnde Fahrradfahrer überholen euch dicht. Dein Pferd trottet gemütlich schnaubend dahin, denn du hast es straßensicher gemacht.
Könnte das eine Situation auf eurem Ausritt sein? Wenn ja, brauchst du nicht weiterzulesen.
Wenn nein, dann ist dieser Artikel für dich. Denn es geht darum, wie du dein Pferd straßensicher machst und es zu einem echten Verlasspferd im Straßenverkehr wird.
In diesem Artikel gebe ich dir 6 konkrete Schritte an die Hand, mit denen du die Straßensicherheit deines Pferdes trainieren, verbessern und festigen kannst.
Der Ist-Zustand
Vorab musst du natürlich wissen, wie der Ist-Zustand in Bezug auf die Straßensicherheit deines Pferdes ist.
Wie findet dein Pferd Autos? Straßen? Bestimmte Fahrzeuge?
Was sind eure bisherigen Erfahrungen mit Straßenverkehr?
Gab es negative Erlebnisse mit Fahrzeugen, Straßen, Brücken etc.?
Assoziiert dein Pferd Stress oder Angst mit Autos oder ist es ein „unbeschriebenes Blatt“?
Unabhängig vom Straßenverkehr: Wie steht es um eure bisherige Verständigung am Boden und euer gegenseitiges Vertrauen?
Wenn du reitest: Wie rittig ist dein Pferd und wie sicher steht es auch in stressigen Situationen an deinen Hilfen?
An dieser Stelle, ist mir ganz wichtig zu sagen:
Wenn bereits schlechte Erfahrungen mit Straßen, Verkehr oder Fahrzeugen bestehen und dein Pferd in der Vergangenheit schon einmal panisch wurde oder / und es Unfälle gegeben hat, dann nimm dir bitte einen erfahrenen und professionellen Trainer zu Hilfe.
Dieser hat mehr Erfahrung, mehr Routine, andere Trainingsbedingungen und vor Allem ist die Situation für ihn nicht mit Angst besetzt.
Die Sicherheit von dir, deinem Pferd und von Dritten steht hier an erster Stelle!
Einen ausführlichen Artikel zum Thema Angst beim Reiten und was wir dagegen tun können, findest du übrigens hier.
6 Schritte zum straßensicheren Pferd
Abhängig vom Ist-Zustand durchläufst du nun die folgenden 6 Schritte, um dein Pferd straßensicher zu machen und es zu einem echten Verlasspferd im Straßenverkehr werden zu lassen.
Du weißt am besten, in welchen Schritt ihr am meisten investieren müsst, sodass du die 6 Schritte für dich und dein Pferd anpassen kannst.
Schritt 1 – Bodenarbeit
Als erstes überprüfst du die Verständigung mit deinem Pferd vom Boden und verbesserst sie gegebenenfalls wenn nötig.
Eine feine und leichte Kommunikation vom Boden beinhaltet für mich:
Sicheres Führen von beiden Seiten
Sofortiges Anhalten und Stillstehen
Leichtes Rückwärtsrichten
Kontrolle der Vorhand
Verschieben der Hinterhand und
Kopf senken als abrufbare entspannte Körperhaltung
Kannst du all diese Übungen leicht abrufen, habt ihr sehr wahrscheinlich ausreichend Vertrauen und Respekt aufgebaut und könnt euch nebeneinander sicher fühlen.
Schritt 2 – Gelassenheitstraining
Um dein Pferd auf eventuell stressige und unbekannte Situationen an der Straße vorzubereiten, solltest du seine generelle Gelassenheit trainieren. Das kannst du durch typisches Gelassenheitstraining und Aussacken machen.
Dein Pferd lernt so neue Reize kennen und es lernt vor Allem auch, wie es mit neuen, furchteinflößenden Reizen umgehen kann.
Es lernt, sich auf dich als Mensch und als vertrauenswürdigen Partner zu verlassen und Sicherheit und Entspannung bei dir zu suchen, anstatt seinen Instinkten zu folgen und ohne Nachdenken zu fliehen.
Außerdem kannst du durch diese Übungen einschätzen, wie dein Pferd sich unter Stress verhält und wie seine Reaktion auf Außenreize aussieht.
Du erfährst auch, wie gut eure Kommunikation unter Anspannung noch funktioniert.
Wenn dein Pferd mit dem Gelände schon vertraut ist, kannst du dich an die ersten Erfahrungen an der Straßen wagen.
Hierfür brauchst du eine geeignete Stelle, an der ausreichend Platz zum Ausweichen ist und keine gefährlichen Engpässe, Zäune, Gräben etc. euch den Weg versperren, solltet ihr mehr Abstand zur Straße benötigen.
Sehr gut eignet sich zum Beispiel für den Anfang auch eine an die Straße grenzende Koppel oder eine Wiese in Sicht- und Hörweite zur Straße.
Suche dir einen passenden Ort aus, an dem du dich wohlfühlst und so ohne Stress die ersten Erfahrungen mit deinem Pferd an der Straße machen kannst.
Ziel dieses Schritts ist, dein Pferd an der Straßen einschätzen zu lernen und seine Reizschwelle herauszufinden.
Wo endet seine Komfortzone und wie reagiert es, wenn du diese Komfortzone ausdehnst?
Tipp
Wenn du schon weißt, dass dein Pferd sehr ängstlich ist, nimm dir für diese ersten Erfahrungen am besten auch schon ein sicheres Begleitpferd mit.
Schritt 4 – Üben, üben, üben
Nachdem du nun weißt, wo ihr steht, geht es jetzt ans Üben.
Dein Ziel ist es, die Komfortzone deines Pferdes so weit auszudehnen, dass es alles, was es als Reitpferd im Straßenverkehr leisten muss, ohne Stress bewältigen kann.
Dafür ist es wichtig, dass es positive Erfahrungen sammeln kann. Versuche also immer, die Trainingssequenzen an der Straße so zu beenden, dass dein Pferd sich dabei gut fühlen kann.
Vielleicht kannst du einem Radfahrer, einem Trecker oder einem langsam fahrenden Auto hinterhergehen oder -reiten, um deinem Pferd das Gefühl zu geben, dass es das Fahrzeug vertreiben kann.
Oder du entfernst dich wieder von der Straße, sobald dein Pferd es geschafft hat, sich zu entspannen.
Je nachdem wie schwer dein Pferd sich tut, helfen auch sichere und erfahrene Pferde, die an der Straße Ruhe ausstrahlen, deinem Pferd, sich besser zu fühlen und zu entspannen.
Schritt 5 – Herausforderungen suchen
Im nächsten Schritt fragst du das Geübte routinemäßig ab und suchst dir und deinem Pferd zusätzlich neue Herausforderungen, um es noch straßensicherer zu machen.
In diesen Situationen kannst du überprüfen, wie sicher dein Pferd wirklich ist und in wie weit es das Gelernte auch auf neue Situationen übertragen kann.
Gibt es eine Bahnstrecke in eurer Nähe? Vielleicht kannst du mit ausreichend Abstand auf einer Wiese daneben gehen und warten bis ein Zug kommt?
Oder kannst du mit deinem Pferd eine Brücke überqueren, unter der der Verkehr schnell hindurch saust?
Wie sieht es aus mit großen Erntemaschinen? Motorradgruppen oder Kutschen?
Auch bei diesem Schritt steht euer beider Sicherheit an erster Stelle! Lass dich begleiten und begib dich nicht in unnötig gefährliche Situationen.
Schritt 6 – Routine
Im letzten Schritt soll der Straßenverkehr wirklich zur Routine werden. Wie alles, was wir nur ab und an mal machen, bleibt auch der Verkehr etwas Außergewöhnliches, wenn wir ihn nicht regelmäßig in unser Training einbeziehen.
Daher solltest du die Straßensicherheit deines Pferdes regelmäßig abfragen und immer wieder neue Situationen schaffen, in denen dein Pferd Selbstvertrauen gewinnen und an seiner Aufgabe im Straßenverkehr wachsen kann.
Fazit
Manche Pferde sind aufgrund ihres unerschrockenen Interieurs und ihrer Vorerfahrungen von Beginn an sicherer im Straßenverkehr als andere Pferde.
Aber: Straßensicherheit kann man mit jedem Pferd trainieren, und sollte dies auch tun! Denn du weißt nie (zumindest nicht, wenn du ausreitest), wann du in Situationen kommst, in denen du Fahrzeugen begegnest.
Die für mich aus Trainersicht wichtigste Voraussetzung für ein sicheres und entspanntes Pferd im Straßenverkehr ist die fundierte Grundausbildung des Pferdes und (!) des Menschen am Boden und später auch unter dem Sattel. Denn eine funktionierende Kommunikation schafft Sicherheit und Sicherheit schafft Entspannung und Gelassenheit.
Mit diesen 6 Schritten kannst du dein Pferd zum Verlasspferd an der Straße machen:
Bodenarbeit
Gelassenheitstraining
Erste Erfahrungen an der Straße
Üben, üben, üben
Herausforderungen suchen
Routine entstehen lassen
Und noch einmal der wichtige Hinweis zum Schluss:
Wenn du dich nicht sicher fühlst im Umgang mit deinem Pferd oder im Training an der Straße, dann hol dir unbedingt Hilfe von einem erfahrenen Trainer vor Ort!
Ist dein Pferd straßensicher? Was sind deine Erfahrungen mit Pferden im Straßenverkehr? Schreine gerne einen Kommentar weiter unten!
Pferde nehmen unsere Emotionen wahr und auch wir Menschen können den Gemütszustand unseres Pferdes spüren. Was das bedeuten kann, wenn es um Gefühle wie Angst beim Reiten geht, wissen viele Reiter aus Erfahrung: Pferd und Mensch geraten in eine Angstspirale und bestärken sich gegenseitig in ihrer Angst. Keine schöne Erfahrung – weder für Pferd noch Mensch.
Aber wann tritt Angst überhaupt auf? Fürchten sich Pferd und Mensch vor der gleichen Sache, der gleichen Situation, dem gleichen Objekt?
Und wie äußert sich Angst bei Pferd und Mensch auf körperlicher und psychischer Ebene?
Und vor Allem: Was können wir gegen die Angst beim Reiten tun?
In diesem Artikel bekommst du Antworten auf diese Fragen sowie aufschlussreiche Fakten und hilfreiche Anregungen zum Thema Angst beim Reiten.
Definition von Angst versus Furcht
Die Begriffe Angst und Furcht benutzen wir im Sprachgebrauch oft synonym. Dabei gibt es durchaus einen Unterschied zwischen Angst und Furcht:
Angst bezeichnet ein Grundgefühl, das sich auf der Basis von tatsächlicher oder angenommener Bedrohung entwickelt. Angst ist also eher vage und kann mit keiner konkreten Situation in Verbindung gebracht werden.
Der seltener benutzte Begriff der Furcht dagegen wird verwendet, wenn sich der Gefühlszustand direkt auf ein bedrohliches Objekt oder auf eine bedrohliche Situation bezieht. Furcht ist also im Gegensatz zur Angst sehr konkret, situationsbezogen und damit auch zeitlich begrenzt.
Antonyme (Gegenwörter) zu Furcht und Angst sind Begriffe wie Neugierde, Gelassenheit und Zuversicht.
Wie äußert sich Angst bei Mensch und Pferd?
Angst kann sich beim Menschen auf vier Ebenen äußern:
auf der körperlichen, der emotionalen, der kognitiven und der Verhaltensebene.
Angst gehört bei Mensch und Pferd zur Grundausstattung an Gefühlen. Sie hat durchaus ihre Berechtigung, da sie uns vor Gefahren oder risikoreichen Aktionen schützen und damit unser Überleben sichern kann.
Körperliche Ebene
Empfinden wir Menschen Angst, versetzt sich unser Körper in Alarmbereitschaft, in den sogenannten Kampf- oder Flucht-Modus. Damit können unterschiedliche körperliche Symptome einhergehen.
Einige Beispiele sind:
Herzklopfen und Pulsbeschleunigung
Atemnot
Zittern
Schweißausbrüche
Pupillenerweiterung
bleiches Gesicht
trockener Mund
Magen-Darm-Beschwerden
Schlaflosigkeit
erhöhter Muskeltonus
Viele dieser Symptome zeigen auch unsere Pferde, wenn sie Angst haben:
Starkes Herzklopfen, dass manchmal sogar durch den Sattel zu spüren ist, aufgeblähte Nüstern, geweitete Augen, angespannte Muskulatur, vermehrtes Schwitzen, häufiges Absetzen von Kot (Stressäppeln) und keine Kauaktivität sind Beispiele für körperliche Angstreaktionen beim Pferd.
Emotionale Ebene – Gefühle
Auf emotionaler Ebene kann das Grundgefühl der Angst je nach Mensch und Situation unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Oft zieht die Angst noch weitere Emotionen wie
Nervosität
Pessimismus
Überforderungsgefühl
Gereiztheit
Dünnhäutigkeit oder
Hilflosigkeit
nach sich.
Auch wenn es schwieriger zu erforschen ist, können wir ähnliche Gefühle bei unseren Pferden ebenfalls beobachten.
Ein Pferd in Angst ist nervös und sucht nach einem schnellen Ausweg aus der Situation. Es wird auf unsere Anfragen dünnhäutiger und extremer (oder gar nicht) reagieren, als unter gewohnten Umständen und wenn es sich der Situation nicht gewachsen fühlt, jedoch keinen Ausweg findet, können wir wahrscheinlich auch von einer Art empfundener Überforderung und Hilflosigkeit ausgehen.
Kognitive Ebene – Gedanken
Auf der kognitiven Ebene äußert sich Angst in negativen Gedanken, Befürchtungen, Sorgen und negativen Bewertungen. Durch das gedankliche Befassen mit einer gefürchteten Situation wird zusätzliche Erwartungsangst geschürt und eine erwartete Situation und ihr vermeintlicher Ablauf werden im Kopf katastrophisiert (Worst-Case-Szenario).
Wichtig ist, sich klar zu machen, dass diese Gedanken oft nicht den Tatsachen entsprechen, sondern eher der Angst selbst entspringen.
Verhaltensebene
Auf der Verhaltensebene führt Angst vor allem zu Vermeidungsverhalten – sowohl beim Menschen als häufig auch beim Pferd.
Dieses Vermeidungsverhalten kann bei uns Menschen zum Aufschieben (prokrastinieren) einer bestimmten Situation oder Aufgabe sowie zum Bedürfnis, bestimmte Dinge stark kontrollieren zu wollen, führen.
Bei Pferden führt es dazu, dass bestimmte Situationen oder Objekte gänzlich gemieden werden.
Angst lässt uns unsere Muskulatur verkrampfen oder uns komplett erstarren. Wir können durch Angst regelrecht handlungsunfähig werden.
Zu viel Angst ist daher ein starker Leistungshemmer.
In Maßen kann uns Angst allerdings auch auf Gefahren hinweisen, uns Risiken bewusst machen und uns durch eine erhöhte Herzfrequenz und vermehrte Durchblutung auch handlungsfähig werden lassen.
Ein Pferd wird durch Angst kurzfristig körperlich leistungsfähiger, was ihm bei einer Flucht zugutekommt.
Angst kann also auch durchaus hilfreich sein.
Wovor hat das Pferd Angst?
Aber wovor haben Pferde denn nun typischerweise Angst?
Als in der Steppe lebendes Beutetier ist das Pferd evolutionär darauf gepolt, vor lauernden, sich anpirschenden und aus Bodennähe angreifenden Raubtieren zu flüchten. Pferde nehmen daher Bewegungen in der Ferne und rasche Bewegungen am Boden besonders gut wahr.
Ein Fahrradfahrer am Feldrand in der Ferne kann Pferde schon mal in Alarmbereitschaft versetzen. Genauso erschrecken Pferde typischerweise vor einer über den Boden wehenden Plastiktüte o. Ä., wenn noch keine entsprechende Gewöhnung an den Reiz stattgefunden hat.
Wer mit Pferden zu tun hat, weiß: Es gibt eigentlich nichts, was es nicht gibt. Pferde können sich je nach Vorerfahrung auch vor Traktoren, Kühen, fremden Geräuschen, Anhängern, der gruseligen Ecke in der Reithalle und anderen Dingen fürchten.
Aber sich klar zu machen, wovor Pferde typischerweise Angst haben, kann helfen, sie besser zu verstehen und einzuschätzen.
Hier ein paar Beispiele:
Sich verändernder Untergrund (Wasser, Matsch, Gullideckel, Fahrbahnbelag …)
Mülltonnen, Stromkästen, Bänke
Uneinsichtige Hecken oder Knicks
Heranlaufende Hunde
Kinderwagen, Fahrradfahrer etc.
Kleinere Findlinge oder Baumstümpfe
…
Was ängstigt den Menschen?
Wir Menschen hingegen wissen natürlich, dass uns auf dem Ausritt weder die Mülltonne am Straßenrand, noch der Gullideckel, noch der Baumstumpf oder der nahende Kinderwagen angreifen und fressen werden.
Vielleicht kann man so auch das Unverständnis erklären, mit dem einige Reiter auf die Angst ihres Pferdes vor solchen Alltagsgegenständen reagieren.
Viel häufiger jedoch ist es so, dass der Reiter zwar keine Angst vor dem Baumstumpf hat, sehr wohl aber vor der Reaktion seines Pferdes auf den Baumstumpf.
Nun haben also Pferd UND Mensch Angst. Zwar nicht vor dem gleichen Objekt, aber vor der gleichen Situation.
Da das Pferd die Angst des Reiters spürt, sieht es sich in seiner Annahme, der Baumstumpf sei gefährlich, natürlich bestärkt. Schließlich strahlt sein Herdenpartner, der Mensch, ja auch Angst aus.
Und fertig ist die Angstspirale.
Wege aus der Angstspirale
Beim Pferd zeigt sich die Angst nun also auf ihren unterschiedlichen Ebenen z. B. durch Verspannung, Herzklopfen, Stressäppeln, geblähte Nüstern, Nervosität und verminderter Bereitschaft auf die Reiterhilfen zu reagieren.
Beim Menschen hat die Angst sich vielleicht schon im Vorfeld der Situation durch negative Gedanken und Gefühle in Bezug auf den Ausritt geäußert und zeigt sich nun ebenfalls auf körperlicher Ebene durch Verkrampfung und erhöhte Puls- und Atemfrequenz.
Auf der Verhaltensebene versucht der Mensch nun vielleicht schnellstmöglich aus der Situation zu entkommen, was natürlich nur kurzfristig eine Erleichterung verschafft.
Langfristig muss unbedingt eine andere Strategie her, damit die Angst beim Reiten gar nicht mehr auftritt.
Wie kann das also gehen?
Du findest im Folgenden verschiedene Anregungen, wie du Angst beim Reiten oder in der Arbeit mit dem Pferd begegnen kannst.
Angst akzeptieren
Zunächst einmal ist es mit der Angst wie mit allen anderen Gefühlen auch: Sie möchte wahrgenommen werden.
Der erste Schritt für uns Reiter ist also, die eigene Angst anzuerkennen und sie zu tolerieren. Es kann sogar helfen, sie anzusprechen und in eine Art Dialog mit der Angst zu gehen. Vielleicht finden wir so heraus, warum die Angst da ist und wovor sie uns beschützen möchte.
Ignorieren wir die Angst oder gehen über sie hinweg, wird sie meist nur noch schlimmer.
Ausbildungsstand überprüfen
Sehr oft haben Reiter Angst vor einem Kontrollverlust und der damit einhergehenden Gefahr für Mensch und Pferd.
Meiner Erfahrung nach ist eine wirklich fundierte Grundausbildung des Pferdes UND des Reiters die beste Möglichkeit, einen Kontrollverlust zu vermeiden. Je besser die Kommunikation zwischen Pferd und Mensch ist und je mehr verschiedene Angstreize Pferd und Reiter innerhalb der Ausbildung kennengelernt haben, desto mehr Sicherheit und Vertrauen entsteht.
Überprüfe also noch einmal kritisch, wie gut dein Pferd in verschiedenen Situationen wirklich an den Hilfen steht – am Boden und unter dem Sattel.
Wenn du Verbesserungsbedarf entdeckst, dann arbeite in gewohnter und ruhiger Umgebung daran und übe immer Schritt für Schritt vom Leichten zum Schweren. Fast immer liegt die Ursache in der Basis. Also scheu dich nicht, noch einmal etliche Schritte zurückzugehen.
Außerdem kannst du dein Pferd mittels systematischer Desensibilisierung an Angstreize gewöhnen und ihm so mehr Sicherheit, Vertrauen und Gelassenheit geben.
Embodiment
Der Begriff Embodiment ist eigentlich eher im Humanbereich bekannt, ist aber inzwischen auch im Pferdebereich nicht mehr ganz neu.
Unter Embodiment wird das Zusammenspiel von Körper, Psyche und Umwelt verstanden. Es wird davon ausgegangen, dass unsere Erlebnisse und Erfahrungen nicht nur im Großhirn, sondern auch in den Zellen unseres Körpers gespeichert werden. Unsere Gedanken und Erfahrungen beeinflussen somit unseren Körper.
Umgekehrt konnten Wissenschaftler nachweisen, dass eine gewisse Körperhaltung, Gestik oder Mimik eine entsprechende psychische Reaktion hervorrufen kann. (Niedenthal et al, “Embodiment in Attitudes, Social Perception, and Emotion”, 2005)
Wenn es dich interessiert: Den kompletten Artikel findest du hier.
Eine aufrechte, entspannte und offene Körperhaltung kann uns also helfen, uns weniger ängstlich und verkrampft zu fühlen und stattdessen gelassener in eine beunruhigende Situation hineinzugehen.
Auch eine tiefe Bauchatmung, ein lockerer Kiefer und ein Lächeln im Gesicht können wirklich helfen, sich auf dem Pferd von Angst zu befreien.
Ich mache meine Schüler besonders in angespannten Situationen immer wieder darauf aufmerksam, die Kiefermuskulatur locker zu lassen und zu lächeln. Auch pfeifen oder summen kann gut funktionieren.
Beim Pferd können wir uns Embodiment ebenfalls zunutze machen, indem wir das Pferd ganz bewusst in eine entspannte Körperhaltung bringen. Mit gedehnter Oberlinie, also tiefer Kopf-Hals-Position, können Pferde sich deutlich besser entspannen (Parasympathikus ist aktiv), als wenn sie die Rückenmuskulatur anspannen und den Hals stark aufrichten (Sympathikus ist aktiv).
Im Mini-Videotraining lernst du übrigens, wie du deinem Pferd das Kopfsenken ganz einfach beibringen kannst. Diese Übung ist wirklich ein Schlüssel, um gestressten Pferden wieder zu mehr Gelassenheit zu verhelfen.
Auch das Biegen und Übertreten eignet sich prima, um das Pferd in eine Haltung und eine Bewegung zu bringen, in der es bei korrekter Ausführung seine Bauchmuskulatur (ventrale Muskelkette) nutzt, die vom Parasympathikus angesprochen wird und Beruhigung und Entspannung fördert.
Das Pferd in Stellung, Biegung oder im leichten Seitwärts durch Angstsituationen zu reiten, kann deshalb auch wirklich wahre Wunder bewirken.
Entkatastrophisieren mit der Szenario-Technik
Oftmals spielen sich in unseren Köpfen die schlimmsten Horrorszenarien ab. Dabei haben diese Szenarien nicht immer etwas mit der Realität zu tun. Sie schüren jedoch unsere Angst.
Hier kann es helfen, die gefürchtete Situation zu entkatastrophisieren, indem wir uns möglichst objektiv das Worst-Case-Szenario, das Best-Case-Szenario und das wahrscheinlichste Szenario ausmalen.
Durch die verschiedenen Ergebnisse dieses Gedankenspiels entwickeln wir eine erweiterte und angemessenere Perspektive auf die Angstsituation.
Ein Beispiel:
Worst-Case-Szenario: Mein Pferd scheut auf dem Ausritt vor dem Baumstumpf, geht durch, ich falle herunter, breche mit einen Halswirbel und bin querschnittsgelähmt.
Best-Case-Szenario: Mein Pferd sieht den Baumstumpf auf dem Ausritt, stuft ihn als ungefährlich ein und geht in ruhigem Schritt am langen Zügel ganz entspannt daran vorbei.
Wahrscheinlichstes Szenario: Mein Pferd erblickt den Baumstumpf auf dem Ausritt, hebt den Kopf, verspannt sich etwas, lässt sich dann jedoch durch meine Hilfen gut einrahmen und geht in leichter Stellung im Schenkelweichen am Baumstumpf vorbei.
Gedankendisziplin
Ein weiterer Tipp, um der Angst entgegenzuwirken, ist Gedankendisziplin. Wir können unser Gehirn trainieren, möglichst positiv zu denken und uns dabei z. B. auch schöne, ermutigende Erinnerungen, die wir mit unserem Pferd gesammelt haben, zunutze machen. Dadurch kommen wir in eine gute psychophysiologische Verfassung, die negative Gedanken und Angst hemmt.
Schaltet unser Gehirn wieder in den Dramamodus und schürt unsere Angst, drücken wir gedanklich auf Stopp und konzentrieren uns bewusst auf unsere Stärken und das Positive.
Visualisierungen
Die Visualisierung ist eine weitere Methode aus dem Mentaltraining und kann dabei helfen, Angst vor bestimmten Situationen aufzulösen. In der Visualisierung arbeiten wir mit inneren Bildern. Wir stellen uns die ängstigende Situation bildhaft vor und malen sie uns so aus, wie wir sie gerne erleben würden.
Es geht darum, ein sehr detailliertes Bild dessen zu erschaffen, was wir in dieser Situation mit unserem Pferd erleben und fühlen möchten. Dabei können sogar die gleichen Gefühle ausgelöst werden, als wenn wir die Situation tatsächlich erlebt hätten.
In unserem Gehirn stärken wir dadurch bestimmte neuronale Bahnen. Es ist ein bisschen so, als hätten wir unsere Visualisierung schon in Wirklichkeit erlebt. Das wiederum erhöht die Chancen, dass die ausgemalte Version der Situation wirklich so eintritt, wie wir es uns wünschen.
Bei regelmäßiger Anwendung dieser Technik kann sich unsere Gehirnstruktur tatsächlich verändern. Grund dafür ist die sogenannte Neuroplastizität des Gehirns. Der gleiche Effekt tritt übrigens auch bei regelmäßiger Meditation ein.
Wenn es dich interessiert: Einen kleinen Artikel zum Thema Visualisierung findest du hier.
Dialog gibt Sicherheit
Reden hilft ja bekanntlich oft in Konfliktsituationen. Genauso kann uns auch ein Self-Talk – ein Dialog mit uns selbst – helfen, Angstsituationen besser zu meistern.
Wenn du ruhig mit dir und deinem Pferd sprichst, während ihr euch in einer angespannten Situation befindet, kann das euch beide beruhigen. Das Verbalisieren hilft vielen Menschen, die Gefahren und Risiken aber auch die Lösungsstrategien klar zu definieren.
Und wer einen Plan hat, fühlt sich gleich schon nicht mehr ganz so hilflos und ausgeliefert.
Konkrete Mutsätze eignen sich ebenfalls gut.
Ein Beispiel:
Ich habe alles spielend leicht unter Kontrolle, fühle mich sicher und mein Pferd vertraut mir.“
Probiere einfach aus, was sich für dich richtig anfühlt.
Noch ein positiver Nebeneffekt: Beim Reden atmest du automatisch aus und bewegst deine Gesichtsmuskulatur, was wiederum für zusätzliche Entspannung sorgt.
Humor nutzen
Zu guter Letzt kann uns auch Humor helfen. In den seltensten Fällen befinden wir uns mit unserem Pferd in akuter Lebensgefahr. Manches dürfen wir darum auch einfach etwas leichter nehmen und mit Humor betrachten.
Dein Pferd ist beim Spaziergang mit allen Vieren gleichzeitig in die Luft gesprungen, um dann neben dir wie angewurzelt stehen zu bleiben und nach kurzem Zögern doch vertrauensvoll weiter zu gehen?
Oder bist du fürchterlich zusammengezuckt, weil du mit dem Erschrecken deines Pferdes gerechnet hattest, dabei hat es nur herzhaft geschnaubt?
So what? Das ist ok. Du darfst gerne mal über dich und dein Pferd lachen. Das hilft, die Spannung zu lösen.
Fazit
Angst beim Reiten ist ein großes und wichtiges Thema. Um sie zu verstehen und ihr entgegenwirken zu können, hilft ein gewisses Hintergrundwissen.
Angst äußert sich bei Menschen (und Pferden) auf vier verschiedenen Ebenen: körperlich, emotional, kognitiv und im Verhalten.
Pferde fürchten sich arttypischer Weise vor Objekten, die in der Art der Erscheinung und Bewegung einem Raubtier ähneln. Aber auch völlig andere Gegenstände, Geräusche oder Orte können Angst auslösen.
Menschen dagegen fürchten sich meist eher vor der unkontrollierbaren Reaktion des Pferdes auf einen Angstreiz und den damit einhergehenden Gefahren, wie Durchgehen oder Abwerfen.
Um die Spirale der Angst beim Reiten zu unterbrechen, können wir verschiedene Methoden und Techniken anwenden:
Die Angst bewusst wahrnehmen und annehmen
Den Ausbildungstand von Pferd und Reiter verbessern
Mit Embodiment für mehr Entspannung, Gelassenheit und Selbstvertrauen sorgen
Mit der Szenario-Technik die Situation im Kopf entkatastrophisieren
Durch Gedankendisziplin bewusst unser Denken steuern
Mit Visualisierungen das Wunschergebnis konkretisieren
In einen verbalen Dialog mit uns selbst und unserem Pferd gehen
Die Dinge mit Humor nehmen
Alle diese Tipps können dir helfen, Angst beim Reiten in unterschiedlichen Situationen zu verringern oder aufzulösen.
Die für mich aus Trainersicht wichtigste Voraussetzung für angstfreies und entspanntes Reiten ist die fundierte und vielseitige Basisausbildung des Pferdes und des Menschen. Denn Wissen schafft Verständnis und Verständnis schafft Sicherheit.
Für die praktische Umsetzung ist ein erfahrener, empathischer Trainer, der dich und dein Pferd vor Ort individuell unterstützen kann, natürlich ebenfalls sehr förderlich.
Kennst du auch Angstsituationen mit deinem Pferd? Was sind deine Strategien und was hilft dir am besten?
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